Effektiver Schutz von Frauen vor geschlechtsspezifischer und Kindern vor sexualisierter Gewalt – auch in Unterkünften für geflüchtete Menschen

| Anträge

gemeinsamer Antrag der CDU und Bündnis90/Grüne/GAL

1. Ausländer- und Sozialamt werden aufgefordert darzulegen, inwiefern ihre Verfahren an den Schutzbedarf von Frauen und Kindern, von allein reisenden Frauen und auch von LGBTTI-orientierten Menschen angepasst sind (z.B. durch Wegweisungen von Tätern oder Störern in den Einrichtungen; durch Schnellverfahren, „fast track“ Regelungen, bei nötigen Umverteilungen von gefährdeten Personen; durch Sanktionsfreiheit für von Gewalt bedrohte Frauen, die Schutz suchen usw.). Die Ämter sollen darlegen, ob alle von körperlicher oder psychischer Gewalt betroffenen Menschen die Möglichkeit zu einem Wechsel der Einrichtung haben.

2. Die Verwaltung wird beauftragt, zu den Punkten 3-13 eine Planung der Umsetzung der Maßnahmen bis Dezember 2016 vorzulegen.

3. In Münster werden Notplätze in mindestens einer Einrichtung (z.B. einige der 30 Plätze der Flüchtlingseinrichtung für Frauen in der Theißingstraße) vorgehalten, um im Falle von Gewalthandlungen gefährdeten Personen schnell Schutzraum zu bieten; denn die Kapazitäten der Frauenhäuser und der Einrichtungen zum Schutz von Kindern sind zunehmend begrenzt. Diese Einrichtung muss auch nachts aufnahmebereit sein, über eine Frau als Ansprechpartnerin und über einen Sicherheitsdienst verfügen. Solche Notplätze können auch Frauen und Kindern mit besonderen Bedarfen (z. B. nach geschlechtsspezifischer Gewalt im Herkunftsland) zugutekommen.

4. Für Frauen und Kinder, die in Deutschland geschlechtsspezifischer bzw. sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind, ist ein niedrigschwelliger Zugang zur Beratung sicherzustellen. Sollte eine Zuflucht in Frauenhäusern sinnvoll und möglich sein, sind Zuständigkeitsfragen für die Finanzierung des Aufenthalts und des Lebensunterhalts sowie die im Rahmen des Asylrechts bestehenden Auflagen zügig zu klären (auch über kommunale und Ländergrenzen hinweg). Gefährdete Frauen und Kinder können bei Bedarf schnell und unbürokratisch auch außerhalb der ihnen zugewiesenen Kommune in Sicherheit gebracht werden. Darüber hinaus unterstützt die Verwaltung laufende Überlegungen zum Aufbau von landesweiten Einrichtungen zum Schutz von LGBTTI-Personen, damit auch für sie im Gefahrenfall Schutzräume bereit stehen.

5. In den Unterkünften für geflüchtete Menschen ist dafür zu sorgen, dass Frauen Räume zur Verfügung stehen, zu denen Männer keinen Zutritt haben. Jede von Frauen und Männern bewohnte Einrichtung sollte einen Frauentrakt haben – zumindest sollte es in jeder Einrichtung einen Aufenthaltsraum nur für Frauen geben. Auch traumatisierte Menschen brauchen spezielle Räumlichkeiten. Solche Schutzräume können multifunktional und in eigener Regie der Bewohnerinnen genutzt werden – zum Austausch, zum Ausruhen, zum Stillen oder für andere Aktivitäten. Für Kinder sind abgeschlossene, betreute Spiel- und Freizeitbereiche einzurichten.

6. In Unterkünften in städtischer wie in freier Trägerschaft ist dafür Sorge zu tragen, dass Sanitäranlagen nach Geschlechtern getrennt, Frauen-WC und -Duschen abschließbar sind und über blickdichte Fenster verfügen. Die Sanitäranlagen für Frauen dürfen nur für Hausbewohnerinnen und weibliche Gäste zugänglich sein; Hausmeister und andere männliche Mitarbeiter haben nur nach voriger Bekanntgabe oder in Begleitung einer Frau Zugang.

7. Die Verwaltung prüft, wie insbesondere schwangere Frauen in den Unterkünften unterstützt werden können – z. B. durch spezifische Kurs- oder Hebammenangebote; dazu werden Mittel aus dem Beratungs- und Gewaltschutz-Landesprogramm (MGEPA) beantragt.

8. Die Mitarbeitenden in den Sozial- und Ausländerbehörden sowie das Personal in den Unterkünften für geflüchtete Menschen werden für mögliche geschlechtsspezifische Gewalthandlungen gegen Frauen und Kinder, aber auch gegen LGBTTI-Personen, sensibilisiert. Heimleitungen, Sozialarbeiter*innen und Wachschutz werden entsprechend fortgebildet (z.B. Erkennen von Gewalt, Angebote des Hilfesystems, rechtliche Befugnisse der Einrichtung, polizeiliche Maßnahmen, aufenthalts- und asylrechtliche Schutzmöglichkeiten, Anti-Rassismus).

9. Träger von Gemeinschaftseinrichtungen sind mit dem auf geschlechtsspezifische Gewalt und Fluchtprobleme spezialisierten Unterstützungssystem (z.B. Frauenhäuser, GGUA) sowie mit LGBTTI-Organisationen in Münster vernetzt. In Zusammenarbeit mit dem bestehenden „Netzwerk Gewaltprävention und Konfliktregelung Münster“ werden Notfall- und Interventionspläne abgesprochen, um ein sinnvolles und planvolles Vorgehen bei Gewalt zu gewährleisten.

10. Die Bewohner*innen werden über Möglichkeiten des Gewaltschutzgesetzes und über Beratungsangebote informiert (z. B. durch Sprechstunden von Frauen für Frauen und für Kinder und Jugendliche). Alle Menschen sind regelmäßig über ihre Rechte bei Gewalthandlungen aufzuklären und über entsprechende Unterstützungssysteme in der Stadt oder auch über das mehrsprachige Bundeshilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ zu informieren. In den Einrichtungen soll auch über die Rechte von LGBTTI-Personen in Deutschland sowohl in Bezug auf ihre generelle rechtliche Stellung, als auch über die Verfolgung aufgrund von Homo- oder Transsexualität als Asylgrund aufgeklärt werden.

11. Es wird eine unabhängige Beschwerdestelle für die Bewohner*innen der Gemeinschaftsunterkünfte eingerichtet, die ein aktives Beschwerdemanagement betreibt und dabei insbesondere auch Gewalt gegen Frauen und andere vulnerable Gruppen berücksichtigt; darüber hinaus ist die entsprechende Ansprechperson auch für LGBTTI-Personen zuständig. Dieses Beschwerdemanagement kann z.B. dadurch geschehen, indem ein sachkundiger Träger beteiligt wird.

12. Das Frauenbüro Münster und der Kinderschutzbund Münster sind aktiv in die Belange von Frauen und Kindern in den Unterkünften zu beteiligen und die für Gewaltschutz zuständigen Mitarbeiter werden in die Maßnahmen gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in den Unterkünften einbezogen.

13. Das Wachpersonal wird gemischtgeschlechtlich besetzt.

Begründung
In den letzten Monaten sehen sich viele Kommunen in Deutschland neuen Anforderungen gegenüber, die im Vergleich zu vergangenen Jahren relativ große Zahl von geflüchteten Menschen mit Wohnungen oder Schlafplätzen zu versorgen. In Münster wird sich mit großer Umsicht und viel Einsatz um eine möglichst hohe Qualität der Unterkünfte bemüht. Wie in allen Städten überlagert die Diskussion um die Wohnraumversorgung jedoch die Diskussion um die Rechte von Asylsuchenden und Geduldeten in den Unterkünften. „Insbesondere der Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt und sexueller Belästigung in Unterkünften wird derzeit kaum thematisiert“, so konstatiert das Deutsche Institut für Menschenrechte (2015) ; ähnlich argumentieren der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband e.V. und der Zusammenschluss aller Frauenhäuser „Frauenhauskoordinierung e.V.“ in ihren jüngsten Verlautbarungen im letzten Jahr. Das Deutsche Institut für Menschenrechte sieht die geschlechtsspezifische Gewalt gegen geflüchtete Menschen auf der Schnittstelle zwischen Flüchtlings- und Frauenberatung, zwischen Zivil- und Ausländerrecht verortet. Dies führe dazu, dass das Thema in beiden Unterstützungssystemen bisher eine eher untergeordnete Rolle gespielt habe.
Auch in Münsteraner Einrichtungen laufen geflüchtete Menschen Gefahr, sexualisierte oder häusliche Gewalt durch mitreisende Partner*innen, Mitbewohner*innen, Personal oder ehrenamtliche Helfer*innen zu erleben. Dies trifft insbesondere vulnerable Gruppen wie Frauen (ihr Anteil unter den erwachsenen Asylsuchenden macht in den kommunalen Einrichtungen ca. 37 % aus), Kinder  sowie Menschen, die nicht heterosexuell orientiert sind – diese Gruppe wird auch unter dem Kürzel LGBTTI (Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, Transgender, Intersexual) zusammengefasst. Es ist an der Zeit, vor der nächsten größeren Zuweisungszeit fachlich fundierte Schutzmaßnahmen für geflüchtete Menschen zu treffen. Erste – meist informelle – Problemanzeigen durch Mitarbeiter*innen in den Flüchtlingsunterkünften, Frauenhäusern und bei Trägern liegen bereits vor. Eher selten sind bislang Beschwerden durch geflüchtete Menschen, die durch Gewalthandlungen oder Diskriminierungen betroffen sind; zu groß ist ihre Angst, dass sich jegliche Form von Gegenwehr ungünstig auf ihr laufendes Asylverfahren auswirken könnte; daher ist ein aktives Beschwerdemanagement sinnvoll.